Ein Beitrag zur deutschen Kultur
MITWIRKENDE

Kamera, Schnitt, Buch & Regie
Thomas Frickel

Darsteller
Christo Aprilov, Cornelia Niemann, Erich Schaffner,
Konrad Kujau,Dr. Bernhard Vogel, Udo Lindenberg,
einige Pharisäer, mehrere Zöllner, Festredner, Künstler,
Chemiker, Beamte, Kulturmanager, Kulturbanausen,
ein Windbeutelkönig und viele andere

Ton
Gunter Oehme, Kerstin Dechering, Héktor Gutiérrez,
Christoph Schuch, Robert Gräf, Gregor Kuschel

Musik
Dietmar Staskowiak

Musikeinspielung
Das blaue Einhorn - Paul Hoorn, Timo Scholz,
Andreas Zöllner, Dietrich Zöllner

Aufnahmeleitung
Dr. Hugo Scholz

Technische Unterstützung
Filmstudio Würchwitz, Helmut Pöschel

Redaktion
Claudia Tronnier

Eine HE-Film-Produktion
35 mm | Farbe | 92 Minuten
in Zusammenarbeit mit dem ZDF

gefördert von: Hessische Filmförderung,
Mitteldeutsche Medienförderung,
Thüringer Filmförderung,
Filmförderungsanstalt

HE-Film, Thomas Frickel
Schulstraße 24
65428 Rüsselsheim
Tel./Fax: 0 61 42/1 34 30
ThomasFrickel@agdok.de



Im "Goethe-Jahr" 1999 greift ein hessisches Paar bei seiner Fahrt durchs deutsch-tschechische Grenzgebiet einen Asylsuchenden auf, der erstaunliche Ähnlichkeit mit dem gefeierten Poeten aufweist. Darausfolgend wird eine Geschäftsidee geboren: Die Beiden gründen eine Event-Agentur und vermieten ihr aus Bulgarien stammendes Dichterfürsten-Double an Volksfeste, Vernissagen oder Politikerempfänge ("Rent-a-Goethe"). Bedauerlicherweise kann dieser Goethe kein Deutsch. Deutschlands Michael Moore Thomas Frickel ("Deckname: Dennis") hat eine eher lose skizzierte Spielhandlung als Gerüst für dokumentarische Schlaglichter gewählt, die mit der fiktionalen Ebene korrespondiert. Daraus ergibt sich ein unglaublich witziger und satirischer Seitenhieb auf die allgemeine Tendenz der kulturellen Verflachung.


Thomas Frickel

INTERVIEW MIT REGISSEUR THOMAS FRICKEL

So ein richtiger Dokumentarfilm ist "Goethe light" ja eigentlich nicht...
Aber auch kein richtiger Spielfilm. Genau dieser Grenzgang hat mich gereizt: zu ganz realen Veranstaltungen hinzugehen und mich dort ein bißchen in die Wirklichkeit einzumischen ...

"Under cover" gewissermaßen. Das erinnert sehr an Ihren letzten Film "Deckname Dennis"
Zu Recht. Auch bei "Dennis" ist ja die Rahmenhandlung sozusagen der Punkt, an dem die Absurdität der Wirklichkeit auskristallisiert. Der Betrachtungsgegenstand erscheint bei dieser Methode wie in einem Vergrößerungsglas.

Und was wollten Sie diesmal betrachten?
In erster Linie einen Kulturbetrieb, der alles zum "Event" aufbläst. Oft geht´s doch da gar nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Marketing. Kultur muß eben verkauft werden - so, wie andere Produkte auch. Bratwürste zum Beispiel ...

Die werden im Film ja nun wirklich reichlich verspeist.
Das Banale und das Erhabene sind halt oft nicht weit voneinander entfernt.

Viel Erhabenes scheinen Sie nicht gefunden zu haben.
Das ist wohl wahr. Allerdings wollte ich auch zeigen, wie es zugeht, wenn einer wie Goethe den Scharlatanen in die Hände fällt.

So besonders ernst scheinen Sie den historischen Goethe dabei nicht zu nehmen.
Doch. Der alte Knabe ist nachweislich an all dem ziemlich unschuldig, denn er ist schon über 170 Jahre tot. Ein paar wirklich tolle Gedichte hat der übrigens geschrieben, und auch sonst ist manchmal ganz brauchbares Zeug dabei. Sogar zum Dokumentarfilm hat er sich schon geäußert ...

Vor über 170 Jahren? Das meinen Sie doch nicht ernst!
Natürlich. Hier, bitte: "Es gibt wenige Menschen, die eine Phantasie für die Wahrheit des Realen besitzen. Und dann gibt es wieder andere, die durchaus am Realen kleben und, weil es ihnen an aller Poesie fehlt, daran gar zu enge Forderungen machen." Das war 1825. Goethe zu Eckermann.


Aus der Presse:

"Regisseur Thomas Frickel hat sich - und uns - einen Spaß daraus gemacht, real beobachtete dokumentarische Szenen mit einer fiktiven, aber durchaus plausiblen Spielhandlung zu kombinieren."
Hessisch-Niedersächsische Allgemeine

"Das Schauspieler-Trio agiert vor der Kulisse einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft, die sich in ihrer fröhlichen Naivität selbst entlarvt."
Darmstädter Echo

"Nichts ist so komisch wie die Realität. Das führt Thomas Frickel mit seiner gelungenen und ausgesprochen entlarvenden Halbdokumentation vor Augen. Mit viel Amusement wird dem Kultur- und Tourismusbetrieb ein Spiegel vorgehalten. Sehenswert!"
Emder Zeitung zum 13. Internationalen Filmfest Emden

"Frickels Film beobachtet die Trinität Niemann, Schaffner und Aprilov, wie sie durch die Untiefen der Event- und Bratwurstkultur der Jahre 1999 ff watet. Mit unbeugsam dokumentarischem Gestus produziert er keine Witze, sondern nimmt sie da wahr, wo sie objektiv geschehen. Und sie geschehen ständig und überall " ein ganzes Goethe-Jahr lang und noch länger."
Frankfurter Rundschau

"Der Filmemacher Thomas Frickel ist ein Mann, der dahin geht, wo es weh tut. Indem Frickel eine Geschäftsidee simuliert, wird der Wahnsinn der real existierenden Geschäftsideen deutlich. Eine der wenigen sympathischen Figuren in Frickels Bestiarium ist der Hitler-Tagbuch-Fälscher Konrad Kujau, der den falschen Goethe ins echte Bild setzt. Für Kujau ist der Fake ein künstlerischer Spaß, für das restliche Personal bitterer Ernst."
Matthias Dell, Thüringer Allgemeine

Frechheit!!! (der Setzer)

"Ohne sich über die Protagonisten lustig zu machen, zeigt Frickels temporeiche Realsatire Profilneurotiker und Kitschliebhaber, naive Verehrer hehrer Kunst und Vermarktungsstrategen, die Goethe dem "Endverbraucher" schmackhaft machen wollen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Mit dem gewohnten scharfen Blick für Peinlichkeiten und Plattitüden des einfachen Volkes und der gehobenen Stände schickt Frickel das Trio auf einen skurrilen Trip durch eine deutsche Provinz im Goethe-Fieber."
Reinhard Kleber, Film-Echo

"Frickel, der Experte für komische Konstellationen des Alltags, macht aus dieser skurrilen Story eine szenische Reflexion, die zum Glück vom Bierernst der professionellen Kulturkritik weit entfernt ist."
Raimund Gerz, EPD Film

"Reise durch Absurdistan"
Wiesbadener Kurier

"Ein Doku-Selbstläufer mit Hintersinn, komödiantisch, schräg, frech, entlarvend und vollkommen unwissenschaftlich. Aber nicht sinnfrei. Hätten wir hier Sternchen zu vergeben, er hätte die Höchstzahl sicher."
Thüringer Landeszeitung

"Regisseur Thomas Frickel ("Deckname Dennis") hat das ausufernde Treiben im Namen des großen Herrn - ob Goethe-Spaziergang, Goethe-Sekt oder Goethe-Windbeutel - zur bissigen Gesellschaftskomödie im Doku-Stil überhöht."
Journal Frankfurt


Szenen-Photos

Die Premierenfeier

Prädikat: "besonders wertvoll"

Begründung: Thomas Frickels Idee, im Umfeld des 250. Geburtstags von Goethe einen Doppelgänger des Dichters auftreten zu lassen, der angeblich illegal nach Deutschland gekommen ist und - ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein - von einem gerissenen Pärchen dazu mißbraucht wird, bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten "Geld zu machen",ist einfach genial.
Willig machen alle mit (auch die Honoratioren und Politiker) und werden dabei vorgeführt, ohne daß sie es bemerken.
Das Ergebnis ist so bitterböse und entlarvend, daß dem Zuschauer das Lachen über die dargebotene Dummheit und Borniertheit der Mitbürger einfriert und der Spott zum Entsetzen wird. Ein Doku-Fake von grausamer Realität, das mit höchst intelligentem Vorgehen eingefädelt wurde.

Die liebste Kritik:

Goethe light - ein Film über ein Falschmünzer-Jubiläum

Ein Film über Goethe, nein, genauer über bundesdeutsche Goethe-Ehrungen des Jubeljahres 1999, gelangt in diesem Herbst verstärkt in die Kinos. Man mache sich das Vergnügen, ihn anzusehen. Nach dem Jubiläum wiederum und nochmals Goethe? Ja, denn hier wird auf amüsante Weise die deutsche Gesellschaft bloßgestellt.

Das deutsche Bürgertum konnte mit Goethe noch nie viel anfangen. Dazu war er zu sehr Dialektiker - er sah Natur und Gesellschaft in steter evolutionärer Entwicklung - zu sehr Realist - er weigerte sich, die deutsche Misere in eine erhabene Idealwelt umzulügen - zu sehr Naturalist und Humanist - er hielt an der Vision einer natürlichen Gesellschaftsordnung ohne Herrschende und Beherrschte fest. Umso mehr instrumentalisierte das deutsche Bürgertum den in aller Welt bekannten und geehrten Dichter für seine jeweiligen Zwecke. Nach Gründung des Kaiserreiches von 1871 avancierte Goethe zur Integrationsfigur der tief zerrissenen deutschen Klassen und Stämme. Im Namen des Dichters wurden die Ziele des preußisch-deutschen Militarismus propagiert und vernebelt. Im Zeitalter des Imperialismus nach 1900 erfanden die Herrschenden "das Faustische" als Programm militärischer Eroberung und Ost-Kolonisation in den Weltkriegen. Die Nazis zogen dem völkisch und deutsch-national gewendeten Goethe schließlich SA-Stiefel an und machten ihn zum Durchhalte-Prediger des "Endsieges". Nach dem Zusammenbruch des Nazireiches durfte Goethe dann Tröster im großen Katzenjammer sein: "Buchenwald" sei lediglich eine nationale Verirrung, das Weimar der Dichter und Denker mache den wahren Nationalcharakter aus.

Und dann kam Goethes 250. Geburtstag im Jahre 1999. Der Dichter wurde instrumentalisiert wie eh und je. Bundespräsident Roman Herzog erhob, wie gehabt, den national eher desinteressierten Dichter zur Integrationsfigur aller Deutschen des neuen Großreiches. Aber dann war da doch etwas Neues in der Vernutzung Goethes. Dieser sollte weniger für ein bestimmtes, fest umrissenes Programm stehen. Gefragt ist heute der postmoderne Beliebigkeits-Goethe, den die Industrie für Tassen, Medaillen, Reisen und Würstl vermarkten kann, ein Goethe für alle und jeden, natürlich je nach Brieftasche. Am schönsten fasste es wiederum Bundespräsident Herzog in Worte: " Auch der Deutsche, der nicht einen Satz des Dichters gelesen hat, weiß doch, daß er unser Goethe ist." Herzog übergipfelnd möchte man sagen, die Kenntnis des Dichters wäre ausgesprochen schädlich, sie würde uns Goethe geradezu entrücken, er wäre eben keiner mehr von uns. Er würde uns Arbeit abverlangen, vorbei wäre es mit dem Genuß ohne Reue, die Markttauglichkeit Goethes wäre im Eimer.

Unter der Regie von Thomas Frickel entstand der Film "Goethe light", der uns 1999 als Jahr des Feierns und Vermarktens des Dichters lebhaft vor Augen führt. An der Erstellung des Filmes war noch der leider zu früh verstorbene Kabarettist Matthias Beltz beteiligt.
Christo Aprilov, pensionierter Bauingenieur aus Sofia, sieht Goethe, dem alten Goethe, verblüffend ähnlich. Dieser Bulgare läuft als Flüchtling an der grünen Grenze einem Pärchen hessischer Event-Manager, gespielt von Cornelia Niemann und Erich Schaffner, vor das Auto. Das Manager-Pärchen wittert das große Geschäft: ein Goethe im Jubiläumsjahr zum Vermieten und zum Vermarkten. Und so erleben wir "Goethe" auf Volksfesten, bei Feinschmecker-Soupers und Wandertagen, ganz real mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, mit Udo Lindenberg oder mit Konrad Kujau, dem Fälscher der Hitler-Tagebücher. Ist dies ein Spielfilm, ein Dokumentarfilm? Teils teils, aber nicht abschnittsweise nacheinander. Das Wunderbare, das hier gelungen ist, liegt in der Vermischung von Spiel und Dokument. Der Betrachter bleibt oft im unklaren, ob er gerade Fiktion oder Realität erlebt, was ungeheuer reizvoll ist. Da wird in einer Veranstaltung der Polit- und Kulturprominenz im Festvortrag der Professorin dazu aufgerufen, Goethes moralisch-politische Integrität gegen alle Angriffe zu verteidigen. Das kann nur gespielte Satire sein. Aber das feixende Pärchen Cornelia und Erich sitzt zwischen den ernsten Festversammelten und diese kennt man doch alle vom Fernsehen? Also doch Dokumentarfilm, Dokument einer Realsatire?

Der bulgarische Goethe des Films spricht kaum ein Wort deutsch und kennt sich nicht in Goethes Werken aus. Per Funk und mit Erich als Sprecher rezitiert er "Über allen Gipfeln ist Ruh'". Unmöglich, so ein Goethe, möchte man meinen. Nein, umgekehrt: es ist dies die einzige Möglichkeit, dem Kultur-Konsumenten von heute den Dichter Goethe anzudienen. Ein alter Goethe ohne Sprache, ohne Werk, ohne künstlerisch-politisches Anliegen und - Goethe der Dialektiker! - ohne Entwicklung, gerade das ist die Voraussetzung erfolgreicher Vermarktung des Dichters in der Spaßgesellschaft. Ein gravitätisch daherschreitender Gehrock, wie geklont, stumm und marionettenhaft fremdgesteuert, das ist zweifellos "unser Goethe". Instrumentalisiert wurde der Dichter in Deutschland schon immer, gewechselt hat das "wofür". Umgelogen und ungebogen wurde er, seit er Weltruhm erlangte. Neu ist dies: "Unser" heutiger Goethe ist "entkernt", er kann jedes fremde Wesen, je nach Marktnotwendigkeit, gleichzeitig annehmen.

Das Pärchen Cornelia und Erich behandelt seinen "Goethe" zunächst eher schlecht, viel Arbeit und geringe Bezahlung. Es macht Mut, daß sich das Goethe-Double zunehmend mit Worten des echten Goethe wehrt und dabei sogar Erfolg erzielt. So führt die Entlarvung der Goethe-light- Gesellschaft doch noch zum Dichter des Prometheus, Götz und des Faust , zum gesellschaftlichen Rebellen. Häufig war er zur Wirkungslosigkeit verdammt, häufig verdammte er sich selbst dazu: Goethe, Rebell trotz alledem. Daher soll diese Film-Besprechung nicht enden, ohne Goethe das Wort zu geben:
Nicht so vieles Federlesen!
Laß mich immer nur herein,
Denn ich bin ein Mensch gewesen,
Und das heißt ein Kämpfer sein. (Westöstlicher Diwan)
Freunde von Satire und Wahrheit sollten sich das Vergnügen dieses Filmes gönnen.

Klaus Mewes
(5.9.2002)



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