Schaffner versetzte den Zuschauer zunächst in die Zeit von 1914, als die schon lange
schwelenden Konflikte hochgerüsteter und in Selbstverherrlichung erstarrter Nationengebilde
zum offenen Krieg ausbrachen und Heerscharen junger Männer unter dem Beifall der Bevölkerung
an die Front zogen, die bald schon in ein Massengrab ausartete. Er schlüpfte mal in die Rolle
des Familienangehörigen, der ein Opfer zu beklagen hat, mal in die Rolle des Hauptmanns, den
die Opfer nicht mehr interessieren, mal in die Rolle des Reichstagsabgeordneten, der die
Kriegskredite für all das Opfern dem Vaterland zuliebe bewilligt...
Authentizität erreichte Schaffner durch Zitate. Aus Zeitungsschlagzeilen und Sitzungsprotokollen tönte ein heute nur noch mit Zynismus lesbarer Ruf nach Weltherrschaft und Völkerhaß. "Serbien muß sterbien!" lautete eine in Österreich verbreitete Parole. Die Kriegslüsternheit war allgegenwärtig. Der letzte Kochtopf wurde der Rüstungsindustrie gespendet, die letzte Kirchenglocke eingeschmolzen. Mit Zynismus trug Schaffner auch einige Lieder vor, auf dem Klavier begleitete ihn Georg Klemp aus Frankfurt. Beide sind zur Zeit mit diesem Programm auf Tour. Schaffner ist für die Jugendzentrumsinitiative längst kein unbeschriebenes Blatt mehr: Dies war bereits das vierte Mal, daß er im Dicken Busch mit einer seiner zeit- und gesellschaftskritischen Darbietungen auftrat. Rüsselsheimer Echo |
Hiebe gegen Fürsten und Pfaffen, aber auch gegen die regierende "Neue Mitte" mit ihren Marathon laufenden Ministern richtet Schaffner seinen Spott. Denn sein Programm ist politisch: Im Gespräch erklärt der 51-jährige Schauspieler unumwunden: "So wie es im Moment ist, kotzt mich vieles an". Daher seine musikalischen und literarischen Programme mit gesellschaftskritischem Tenor. |
In der Kunst und Kreativität liegen die Mittel, die er am liebsten anwendet: "Um wenigstens die Illusion zu haben, man könnte etwas verändern". Das Publikum, freilich auf den Abend eingestimmt, nahm dieses Angebot dankbar an und amüsierte sich köstlich. |
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Kölner Stadt-Anzeiger |
Wie groß die Leiden eines Asylsuchenden oder Flüchtlings sein können, legte der selbst davon
betroffene Bertolt Brecht in vielen seiner Texte nieder, welche eindrucksvoll und mit großer
Leidenschaft von Erich Schaffner im Anschluß an die Eröffnungsrede vorgetragen wurden.
Der Schauspieler wählte für das musikalisch literarische Programm ganz bewußt sehr
sozialkritische Texte und Lieder von Brecht aus, die mitunter ein sehr düsteres Bild der
Menschheit vermitteln.
So waren unter anderem so bekannte Lieder wie "Mackie Messer" oder "Lied des
Händlers" und vertraute Texte wie "Die Auswanderung der Dichter" oder auch
"Der Nachbar" zu hören, die im Wechsel wiedergegeben wurden. Dank seiner tragenden,
sonoren Stimme und seiner sehr lebendigen Mimik, machte es Schaffner seinem Publikum leicht,
sich in die Welt von Bertolt Brecht zu versetzten, die vom zweiten Weltkrieg, Vertreibung,
Verbrechen und Hungerleiden geprägt war. Nicht zuletzt gelang dies auch durch die hervorragende
Unterstützung von Georg Klemp am Klavier.
Mainspitze
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Wer Ernst Busch auf Originalaufnahmen hört, der wird schnell eingefangen von der Intensität
seiner Stimme. Durchdringend und pathetisch kommt er daher, und vieles von dem findet sich
auch in dem Programm von Schaffner und Klemp wieder...
Mainspitze |
Schaffner, ein junger Schauspieler, der früher u.a. am Theater in Ingolstadt engagiert war,
reist seit einigen Monaten mit einem festen Vortragsprogramm durch die Bundesrepublik. Um ihn
nach Hamburg zu holen, wurden von jedem Besucher 1,50 DM Eintritt kassiert. Das Programm
war diesen kleinen Unkostenbeitrag sicher wert. Schaffner trug eine Folge von
satirischen Gedichten, Liedern, Kurzprosatexten und Witzen vor, verbunden durch
autobiographische Aussagen von Schriftstellern über Faschismus und Exil und historische
Erläuterungen u.a. von Bert Brecht, Werner Finck, Erika Mann, Erich Weinert...
Hamburger Lehrerzeitung
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Aktuelles bildete allerdings den Auftakt. In einer sarkastischen ethnologischen Vorlesung
charakterisierte Schaffner die spezifische Form des "homo sapiens", den "homo
Wörner", einen Verteidigungsminister, der wehrhaft genug zu sein scheint, jeden Angriff
zu überstehen.
Frankfurter Rundschau |
Chronologisch ging Schaffner vor: Dreist, mutig und direkt die Anspielungen der Kabarettisten
in den zwanziger Jahren, tiefgründig, versteckt in Wortspielereien jene nach der Machtergreifung
der Nationalsozialisten. Die Gedichte der emigrierten Schriftsteller dagegen sind oft
nachdenklich, voller Trauer, offen und in keiner Weise beschönigend, wie die "Eheballade"
von Hans Jahn.
Der Frankfurter Schauspieler rezitiert nicht nur, er spielt die kleinen Sketche vor. Zwei Rollen auf einmal schafft Schaffner spielend. Er ändert die Position auf der Bühne, die Stimmlage, die Gestik und schon ist er sowohl Polizist als auch die alte Frau, die sich das obere Plakat von dem Gesetzeshüter vorlesen läßt. "Keiner darf mehr hungern und frieren", liest ihr der Polizist stolz vor. "Das ist also ab heute auch verboten", kommentiert die Alte. Schaffner schlüpft während des Programms aber nicht nur in die jeweiligen Rollen, die die Sketche vorgeben. Balladen werden selbstverständlich gesungen, auch ohne Musikbegleitung. Dialekte sind dem Frankfurter Schauspieler geläufig.... Aus unterschiedlichen Quellen hat Erich Schaffner seinen Abend" zusammengestellt: Bücher, Zeitungen, von Augenzeugen Erzähltes.... Heute vor 47 Jahren begannen die Nationalsozialisten diesen Zweiten Weltkrieg. Und wohl nicht umsonst stellte Schaffner folgendes Gedicht von Brecht an den Schluß des Programms: "Das Gedächtnis der Menschen für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz ... Die Welt wer noch mächtig nach dem ersten Krieg, bewohnbar noch dem zweiten, nicht mehr auffindbar nach dem dritten." Heilbronner Stimme |
So manchen betroffenen Lacher erntete Schaffner auch auf seine Frage, wieso die Gasmaskenproduktion noch während des Krieges eingestellt worden sei? Die Gesichter seien nämlich zu langgeworden, so daß die Masken nicht mehr paßten, erklärte Schaffner. Diese wie auch andere bissige Fragen charakterisierten und durchzogen das gesamte Programm. Mit Brecht teilt der Schauspieler die Auffassung, |
daß die Vorstellungsgabe der Menschen für vergangene
Leiden sehr kurz sei, und was zukünftige Leiden angehe, so sei die Vorstellungsgabe
noch weit kürzer. Diese Abgestumpftheit gelte es zu bekämpfen. und das tausendmal Gesagte noch
ein weiteres Mal zu wiederholen, damit es nicht ein einziges Mal zu wenig gesagt werde.
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Mainspitze |
Weinert war auch der Autor der phantastischen Darstellung des deutschen Raubzuges durch Europa
als kulinarische Rundreise, bei der die Nazis freilich nie zahlten, in Polen gleich noch das
Geschirr mitnahmen und am Ende, nachdem sie in Rußland einen leeren Tisch vorgefunden und sich
damit übernommen hatten, auch die Mitläufer unter ihnen zum Begleichen der Zeche aufgefordert
wurden....
So nahm man mehr oder weniger entsetzt die weitergereichte Nachricht zur Kenntnis, nach der 16 Prozent aller über 65jährigen heute noch glaubten, Polen habe den zweiten Weltkrieg angefangen. Da fiel einem die Aufforderung von Walter Mehring wieder ein: "Nun, da Ihr wißt, wie alles enden kann, vergeßt nie, wie es begann!" Oberurseler Kurier |
Die Hände der Zuhörer ruhen. Manche Texte vertragen keinen Applaus. "Gott im Himmel, wenn
sie ein Ohr hätten, wüssten sie, was man mit ihnen macht." Nachdem der letzte Satz von
Bertolt Brechts Ballade von der "Judenhure" verklungen ist, herrscht Stille....
Ein anderes Mal spricht er mit bayerischem Akzent, zitiert einen Dialog zwischen Vater und Sohn,
den Karl Valentin einst getextet hat. Vom Vater will der Sohn wissen, ob es ewig Kriege geben
wird. Und warum es Kriege gibt. Und ob das Volk gefragt wird, ob es überhaupt einen Krieg will,
und ob die Soldaten denn gefragt werden, ob sie überhaupt einen Krieg wollen. Nach zahllosen
Antworten auf zahlreiche Fragen hat der Vater seinen Sohn schließlich davon überzeugt, dass es
ewig Kriege geben wird.
Krieg und Politik tauchen in Kurt Tucholskys Gedicht "Ideal und Wirklichkeit" zunächst
nicht auf "In stiller Nacht und monogamen Betten denkst du dir aus, was dir am Leben
fehlt." Ein Mann im Publikum lächelt seine Frau an, als Erich Schaffner davon singt, dass
man immer "eine große Lange" möchte, und dann doch "eine kleine Dicke"
bekommt. Cest la vie." Am Ende des Streifzuges angelangt, ist in der Cyriakusgemeinde doch
noch lautstarker Applaus zu hören: "Wir dachten unter kaiserlichem Zwange an eine
Republik... und nun ist's die!"
Frankfurter Rundschau
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